Am 3. Juli 1883 erblickte Franz Kafka in Prag das Licht der Welt. Am 3. Juni 1924 verstarb der Schriftsteller in einem Sanatorium nahe Wien an Kehlkopftuberkulose. Sein Tod markierte das Ende eines literarischen Genies. Seine Werke – darunter „Die Verwandlung“, „Der Process“ und „Das Schloss“ – zählen zu den Schlüsselwerken der Weltliteratur. 1917 war Kafka an Tuberkulose erkrankt. Ohne wirksame Antibiotika blieb ihm nur die Erholung in Sanatorien, die jedoch keinen langfristigen Erfolg brachte. Im Frühjahr 1920 verbrachte Kafka einen Kuraufenthalt in Meran/Südtirol. Sein Werk zeigt die Verbindung zwischen Leiden und Literatur.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Christian J. Wiedermann
Franz Kafka, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, litt unter einer Krankheit, die sowohl sein Leben als auch sein literarisches Schaffen tiefgreifend prägte – Tuberkulose [1]. Sie stellte, als Geißel der Menschheit der neuen industrialisierten Welt, eine große soziale und medizinische Herausforderung dar. Die Diagnose war bei ihm noch während des Ersten Weltkriegs im August 1917 gestellt worden. Er erlitt einen Blutsturz – Blut aus der Lunge, wie er schrieb, „quoll aus seinem Mund hervor“. Von seinem Arzt wurde das initial als „Bronchialkatarrh“ bezeichnet. Der Blutsturz aber wiederholte sich tags darauf. Bei genauerer Untersuchung wurde er dann auf einen „Katarrh der Lungenspitzen“ zurückgeführt. So wurde die fehlende Belüftung der oberen Lungenabschnitte bezeichnet, die in der ärztlichen Untersuchung durch Abklopfen erkennbar und typisch für fortgeschrittene Tuberkulose ist. Ein Röntgenbild erhärtete den Verdacht, und die endgültige Bestätigung kam von einem Lungenspezialisten.
Tuberkulose war nicht nur ein medizinischer Befund, sondern für Kafka das Symbol für die seelischen Kämpfe, die er schon in den vorangegangenen Jahren durchlebt hatte [2]. Die Tuberkulose, von ihm sehr bald als „Krankheit zum Tode“ beschrieben, interpretierte und verstand er psychosomatisch als Manifestation seiner übermäßigen geistigen Anstrengungen und Belastungen. Dies spiegelte sich in seinem Werk in den wiederkehrenden Themen von Krankheit, Leiden und Tod wider.
Kafkas Umgang damit war geprägt von einer Mischung aus Resignation und pragmatischer Anpassung; nach der Diagnose 1917 zog er sich anfangs aufs Land zurück, um sich bei seiner Schwester und seinem Schwager zu erholen. Er versuchte, die Krankheit durch eine Änderung seiner Lebensweise und Unterbrechung seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu bewältigen. Sein Zustand besserte sich aber nicht wirklich. Die ‚Lungenschwindsucht‘, so die damalige Bezeichnung, zehrte aus und erhöhte die allgemeine Krankheitsanfälligkeit – bei Kafka war dies eine lebensbedrohliche Episode der Spanischen Grippe im Jahr 1918, die er gottseidank überstand.
Tuberkulose war im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Europa verheerend und für bis zu einem Viertel der Todesfälle von zum Großteil jungen Menschen verantwortlich [3]. Wegen der sichtbaren Symptome und des chronisch-progredienten Verlaufs war sie besonders gefürchtet, so auch von Kafka, der die Ahnung schon längere Zeit vor dem Blutsturz in sich trug, auch betroffen zu sein.
Bis zur Entdeckung des Krankheitserregers durch Robert Koch im Jahr 1882 war die Ursache der Tuberkulose ja weitgehend unbekannt. Durch Kochs Entdeckung wurde die Lungenschwindsucht nun als ansteckende Infektion erkannt, was zu einem Wandel in der öffentlichen Gesundheitspolitik und den Behandlungsansätzen führte.
Das Mycobacterium tuberculosis löst eine immunologische Abwehrreaktion aus. Wird der Erreger nicht erfolgreich eliminiert, führt die ausgelöste Entzündung zur Bildung einer zunehmenden Zahl von Knötchen, sogenannten Tuberkeln, deren Verschmelzung und Verkäsung letztlich den Zerfall des Lungengewebes bedingt. Wenn dabei Blutgefäße verletzt werden, kommt es zur blutigen Verfärbung des Sputums.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beruhten die Behandlungsmethoden lediglich auf den Prinzipien der Erholung und Stärkung [3]. Da es noch keine wirksamen Antibiotika gab, setzte man auf klimatische und hygienische Maßnahmen, die in speziellen Heilanstalten, den Sanatorien, angeboten wurden. Diese Einrichtungen, oft in klimatisch begünstigten Regionen wie den Alpen oder an der See, boten Behandlungen an, die frische Luft, Sonnenlicht und gesunde Ernährung umfassten, oft als spezielle hyperkalorische Diäten. Einige der bekanntesten Kurorte dieser Zeit waren Davos in der Schweiz, Meran in Tirol und Falkenstein im Taunus. Obwohl die gemeldeten Heilerfolge variierten, waren anhaltende Besserungen in bis zu einem Drittel der Fälle beschrieben worden.
Nach Kochs Entdeckung der Ansteckbarkeit, wurden zusätzlich auch hygienische Maßnahmen großgeschrieben, darunter Ganzkörperwaschungen, Zahn- und Mundhygiene sowie die regelmäßige Lüftung und Sonnenexposition von Kleidung und Bettzeug, um die Ausbreitung zu verhindern und die allgemeine Widerstandsfähigkeit zu stärken [3]. Angesichts begrenzter medizinischer Möglichkeiten boten die Sanatorien und Kurorte diese Ansätze zur Linderung der Symptome an und verbesserten so die Lebensbedingungen vieler Betroffener.
Tuberkulose war auch eine soziale Wunde, die Stigmatisierung und Isolation mit sich brachte. Die Angst vor Ansteckung führte häufig zu sozialer Ausgrenzung, was die Lebensqualität zusätzlich beeinträchtigte. Die Krankheit traf alle Gesellschaftsschichten. Besonders hart aber waren die ärmeren Gruppen betroffen, die unter schlechten hygienischen Bedingungen und hoher Bevölkerungsdichte lebten. Dies führte zur Einrichtung von sogenannten „Volksheilstätten“, die unbemittelten Patienten Behandlungen zu günstigeren Konditionen oder überhaupt kostenlos anboten.
Mehrere Faktoren führten trotzdem zu einer kommerziellen Ausbeutung der Tuberkulose, bedingt durch die vielen Betroffenen und die zumeist fehlende Möglichkeit zur Heilung. Während Orte wie Meran legitime Behandlungen anboten, waren viele Maßnahmen von fraglicher Wirksamkeit und förderten einen „Kur-Tourismus“, der oft die Verzweiflung der Patienten ausnutzte. Betroffene griffen auf die sogenannte Patentmedizin der Apotheken zurück, die oft nur kurzfristige Linderung durch Inhaltsstoffe wie Alkohol oder Opium erreichte. Kafka lehnte angebotene Behandlungen mit Arsen oder Tuberkulin ab, letzteres von Robert Koch selbst entwickelt – nebenwirkungsreiche Mittel, die sich als wirkungslos herausstellten. Gesundheitsdienstleister machten oft unwahre Aussagen über die Wirksamkeit ihrer Behandlungen, was zu falschen Hoffnungen und finanzieller Belastung führte. Wohlhabendere Schichten hatten Zugang zu besseren Behandlungen, während ärmere Gruppen oft nur minderwertige Mittel erhielten. Die Situation verbesserte sich erst mit strengeren Regulierungen und der Einführung von Antibiotika, wie Streptomycin in den 1940er-Jahren.
Meran wurde in der Zeit als führende Kurstadt für die Behandlung von Tuberkulose bekannt. Franz Tappeiner, der hier über 50 Jahre als Arzt wirkte, trug maßgeblich zur Transformation Merans in einen renommierten Kurort bei [4]. Die Stadt entwickelte eine Infrastruktur von spezialisierten Sanatorien mit qualifiziertem, zum Teil von auswärts zugezogenem Personal und medizinischen Einrichtungen. Der Kurort bot neben Ruhe, Luft und Sonne eine attraktive kulturelle Szene, die das allgemeine Wohlbefinden verbesserte. Obwohl moderne Antibiotika die Rolle klassischer Kurorte längst verändert haben, bleibt Merans historische Bedeutung erhalten, und die Stadt ist weiterhin ein Zentrum für Wellness und Erholung.
Franz Kafkas persönliche Erfahrungen mit der Tuberkulose prägten sowohl sein Leben als auch sein literarisches Schaffen. Die frühe Konfrontation mit seiner eigenen Krankheit spiegelt sich eindrücklich in Kafkas Werk „Ein Landarzt“ wider, einer Erzählung, die während der Zeit seiner ersten schweren Symptome geschrieben wurde [5].
In dieser Geschichte wird der Protagonist, ein Landarzt, plötzlich und unerwartet mit einer unerklärlichen und schweren Krankheit eines Jungen konfrontiert. Der Arzt steht unter Druck, schnell eine Diagnose zu stellen und eine Behandlung einzuleiten, obwohl er sich der Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen bewusst ist. Kafkas Beschreibung des kranken Jungen, der mit einer mysteriösen Wunde kämpft, die über Nacht erschienen ist, spiegelt die plötzliche Manifestation seiner eigenen Krankheitssymptome wider. Der Landarzt fühlt sich zerrissen zwischen der Dringlichkeit seiner Aufgabe und der Erkenntnis, dass eine echte Heilung unmöglich scheint – ein Gefühl, das Kafka selbst tief empfunden haben dürfte, als er mit den wiederkehrenden und unaufhaltsamen Symptomen seiner Tuberkulose konfrontiert wurde. Der Arzt in der Geschichte erfährt zudem eine tiefgreifende Entfremdung und Einsamkeit, die durch seine berufliche Rolle und die Unmöglichkeit, zu helfen, noch verstärkt wurde.
Kafka reagierte auf seine Krankheit mit einer Mischung aus Resignation und einer tiefen Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens. Die Beschreibung als „Krankheit zum Tode“ ist deutlicher Hinweis auf sein Bewusstsein über ihre Schwere und tödliche Natur.
Max Brod war Kafkas enger Freund und literarischer Nachlassverwalter. In seinen Briefen [6] an Brod sprach Kafka oft über die gesundheitlichen Probleme und Auswirkungen auf seine Arbeit. Nach der Diagnosestellung 1917 schrieb er:
„Seit Wochen liege ich im Bett, unfähig zu arbeiten. Die Tuberkulose nimmt mir die Kraft, und ich kann kaum noch schreiben. Alles, was ich mir erträumt habe, scheint nun unerreichbar zu sein.“
Kafkas Tagebuchaufzeichnungen sind oft introspektiv und reflektierten seine gesundheitlichen Kämpfe. So 1918 im ersten Jahr nach der Diagnose:
„Die Nächte sind die schlimmsten. Der Husten zerreißt mich und lässt mir keinen Moment der Ruhe. Ich fühle, wie die Krankheit mich von innen auffrisst, und manchmal frage ich mich, wie lange ich das noch ertragen kann.“
Kafka suchte Heilung oder zumindest Linderung in Sanatorien, wie in Meran. Diese Aufenthalte brachten jedoch nur vorübergehende Besserung, und die Krankheit schritt fort. Der folgende Brief vom Juli 1921 an seine Schwester verdeutlicht seine Empfindungen:
„Meine liebe Ottla, ich muss Dir leider mitteilen, dass meine Hoffnungen auf Besserung wieder einmal enttäuscht wurden. Der Zustand meiner Gesundheit hat sich erneut verschlechtert, und ich fühle, wie die Krankheit mir nicht nur den Atem raubt, sondern auch den Willen zu leben und zu schaffen. Die Ärzte sprechen zwar von Heilungschancen, aber ich spüre in jedem Atemzug das Gegenteil. Es ist, als ob mein Körper mir seine eigene Geschichte erzählt, eine Geschichte des langsamen, aber unaufhaltsamen Niedergangs.“
Die Krankheit beeinflusste auch Kafkas berufliche Laufbahn. Seinen Pensionsansuchen war wiederholt nicht stattgegeben worden. Trotz Krankheit arbeitete er weiterhin bei der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt und war dabei mit Gesundheitsthemen befasst, bis seine eigene Gesundheit dies schließlich nicht mehr zuließ.
Das Verhältnis zu seiner Familie und mehreren Verlobten, insbesondere zu Felice Bauer, war komplex und wurde durch seine Krankheit weiter kompliziert. Eine prägnante frühe Textstelle, die seine Resignation im Umgang mit dem Leiden veranschaulicht, findet sich in einem seiner Briefe an Felice, den er 1917 schrieb:
„Meine liebste Felice, die Krankheit ist der Beweis dafür, dass ich kein Lebensrecht habe, kein Recht auf Gesundheit und Kraft, kein Recht auf das Maß von Glück. Wie ein Geblendeter stolpere ich durch die Tage, Nächte, durch Jahre. Mein Kopf will den Dienst versagen, mein Körper kränkelt herum und selbst das Schreiben, das Einzige, was mir noch Antrieb geben könnte, wird mir immer mehr zur Qual und zur Unmöglichkeit.“
Seine Verlobung mit Felice löste er auf, unter anderem wegen der Aussichtslosigkeit seiner Heilung.
Mit den Jahren verschlechterte sich Kafkas Gesundheitszustand zusehends, besonders nach der Diagnose der ‚Kehlkopftuberkulose‘ als Komplikation der bereits bestehenden Lungenerkrankung. Diese zusätzliche Lokalisation der Tuberkulose manifestierte sich zunächst durch Heiserkeit, gefolgt von schmerzhaftem Schlucken und letztlich einem nahezu vollständigen Verlust der Sprechfähigkeit. Die Symptome führten zu einer tiefen physischen und emotionalen Isolation, da die Kommunikation, die Kafka so sehr schätzte, immer schwieriger wurde [2].
Am 11. April 1924 war er mit schweren Symptomen, hochfiebrig ins renommierte Wiener AKH eingeliefert und bald danach wegen der Aussichtslosigkeit einer Besserung in ein kleines Privatsanatorium in Kierling bei Wien verlegt worden, wo er seine letzte Zeit verbrachte. Trotz der Fürsorge durch seine neue Lebensgefährtin Dora Diamant und seinen Freund Robert Klopstock, der ihn medizinisch unterstützte, beide übrigens ebenfalls an Tuberkulose erkrankt, verschlechterte sich sein Zustand kontinuierlich. Besonders belastend waren die Schmerzen und die Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme durch die Kehlkopftuberkulose. Die Unfähigkeit, feste Nahrung zu sich zu nehmen, und die daraus resultierende Schwäche waren demütigende Erfahrungen.
In dieser Zeit verfasste Kafka einige seiner bewegendsten Briefe, die seine Resignation und zugleich seinen unbändigen Willen zum Ausdruck bringen, in Würde zu leiden. Sie sind Zeugnis der Qualen, die er durchlitt.
Franz Kafka verstarb schließlich am 3. Juni 1924 unter Morphium im Sanatorium Kierling, vor 100 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete zwar ‚Herzlähmung‘, doch es war klar, dass es seine Tuberkulose war, die auch seinen Kehlkopf ergriffen hatte, die den Tod herbeiführte. Sein Leben, das so reich an literarischer Produktion und geistiger Tiefe war, endete in einer Tragödie des körperlichen Verfalls. Er wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag-Žižkov beerdigt – als gebürtiger Prager und bei seiner Familie.
Franz Kafka interpretierte seine Tuberkulose oft als symbolischen Ausdruck seiner inneren Konflikte und seelischen Kämpfe. Seine Erkrankung nutzte er als Metapher für seine psychosomatischen Herausforderungen. Eine Aussage von ihm dazu [7]:
„Manchmal scheint es mir, Gehirn und Lunge hätten sich ohne mein Wissen verständigt. ,So geht es nicht weiter’, hat das Gehirn gesagt, und nach fünf Jahren hat sich die Lunge bereiterklärt, zu helfen.“
Die Aussage illustriert, wie er seine körperlichen Symptome in einen größeren psychologischen und narrativen Kontext stellte, indem er Techniken wie Projektion und Personifizierung verwendete. Diese literarischen Mittel halfen ihm, seine körperlichen und seelischen Zustände zu externalisieren und verständlicher zu machen.
Kafkas Ablehnung der damals üblichen patentmedizinischen Behandlungen sind Zeichen erhöhter „Gesundheitskompetenz“, was wohl auch mit seiner beruflichen Tätigkeit in einer Versicherungsanstalt zu tun haben dürfte. Wissenschaftliche Schriften wiesen darauf hin, dass die besten Behandlungserfolge in Kuraufenthalten erzielt wurden, frei von den angepriesenen herkömmlichen Apothekenmitteln. Seine sachliche Herangehensweise war Teil der Verarbeitungsmechanismen und unterstreicht die kritische Auseinandersetzung mit den medizinischen Praktiken seiner Zeit.
Ein Jahrhundert nach Kafka hat sich die Tuberkulose erheblich gewandelt. Heute sind weltweit rund 1,7 Milliarden Menschen mit Mycobacterium tuberculosis infiziert [8]. Trotz eines Rückgangs der Sterblichkeitsrate nach der Jahrtausendwende kann die Krankheit bei Ausgrenzung und Armut als sozioökonomische Risikofaktoren, bei Immunschwäche durch HIV oder bei Antibiotikaresistenzen nach wie vor tödlich verlaufen. Das Augenmerk liegt heute auf der frühen Diagnose und Behandlung latenter Infektionen, die zu Kafkas Zeiten oft unentdeckt blieben, weil nur die aktive Tuberkuloseerkrankung erkannt werden konnte. Die antibiotische Behandlung latenter Infektionen verhindert heute den Ausbruch aktiver Tuberkulose, die Kafka ja schon längere Zeit vor dem Blutsturz für sich befürchtete. Dass sein Sputum schon vorher blutig tingiert war, hatte er verdrängt.
In der Ära der Präzisionsmedizin erleichtert heute die Gentechnologie die frühzeitige und genaue Identifikation und Charakterisierung von Bakterienstämmen sowie die Resistenzbestimmung für eine gezielte Medikamentenauswahl.
Weil Kafka wohl schon längere Zeit vor seinem Blutsturz latent infiziert war, könnte ein Teil seiner davor als hypochondrisch gedeuteten Beschwerden schon tatsächliche Infektionssymptomatik gewesen sein.
Aus einer eigenen Studie, die das Institut für Allgemeinmedizin in Zusammenarbeit mit dem Sanitätsbetrieb zur Coronapandemie in Südtirol gemacht hat, ist hervorgegangen, dass Personen mit einer diagnostizierten psychischen Störung ein nahezu vierfach erhöhtes Risiko hatten, mit Corona infiziert zu werden, verglichen mit Personen ohne psychische Störungen [9]. Ein erhöhtes emotionales Belastungsniveau, wie es durch Depressionen, Angstzustände oder Stress erlebt wird, kann die Anfälligkeit für eine Infektionserkrankung erhöhen. Dahinter stehen Wechselwirkung zwischen psychologischen, neuroendokrinen und immunologischen Faktoren. Kafkas wiederkehrende körperliche Beschwerden und seine intensive Beschäftigung mit psychischem Leiden könnten in einem ähnlichen Licht betrachtet werden, wie die moderne Forschung heute psychologischen Stress und körperliche Gesundheit verbindet. Kafka lebte in einer Zeit, in der das Verständnis für diese Verbindungen noch nicht etabliert war, was seine persönlichen und literarischen Auseinandersetzungen mit Krankheit und Isolation möglicherweise noch intensivierte.
Chronisch kranke Menschen erleben oft erhebliche psychische Belastungen, verstärkt durch die Unvorhersehbarkeit des Krankheitsverlaufs. Sozial führen solche Krankheiten häufig zu Isolation, da Betroffene nicht mehr an früheren Aktivitäten teilnehmen können, was ihr Selbstwertgefühl mindert und sie oft aus dem sozialen Leben zurückzieht. Familien sind oft stark belastet, wenn Familienmitglieder zu Pflegepersonen werden, was die Beziehungsdynamik beeinflusst. Berufliche Karriereeinbußen und finanzielle Instabilität nicht zu vergessen. Effektive Bewältigungsstrategien und ein starkes Unterstützungsnetzwerk sind entscheidend, um mit diesen Herausforderungen umzugehen.
Franz Kafkas Tuberkulose-Erfahrung beleuchtet die psychologischen und existenziellen Auswirkungen chronischer Krankheiten. Er setzte seine Krankheit nicht nur metaphorisch in seinen Werken ein. Sein Kampf mit Angst, Isolation und Entfremdung zeigt die Rolle psychologischer Faktoren und unterstreicht gleichzeitig die Bedeutung ganzheitlicher Ansätze in deren medizinischer Betreuung. Trotz seiner Krankheit blieb Kafka produktiv, schuf einflussreiche Werke und sensibilisierte für die Gebrechlichkeit des Menschen. Sein Leben und Schaffen betonen es, Krankheit im sozialen, psychologischen und medizinischen Kontext zu betrachten. Und sie zeigen die Wichtigkeit von Resilienz und menschlichem Geist im Umgang mit gesundheitlichen Herausforderungen.
Medizinischer Fortschritt hat unsere Fähigkeit erheblich verbessert, Krankheiten erfolgreich zu behandeln und die Lebenserwartung zu erhöhen. Viele ehemals tödliche Krankheiten können heute geheilt werden. Dennoch bleibt menschliches Leiden eine universelle Erfahrung.
Kafka nutzte sein Leiden als literarische Inspiration und veranschaulicht, wie tief Krankheitserfahrungen das menschliche Bewusstsein und kulturelle Ausdrucksformen prägen können. Die Reflexion darüber zeigt, dass medizinischer Fortschritt allein nicht ausreicht, um menschliches Leiden zu adressieren. Psychische und soziale Aspekte benötigen ebenso Beachtung, und es ist entscheidend, dass Medizin den Menschen ganzheitlich im sozialen und emotionalen Kontext behandelt.
Menschliches Leiden kann trotz des Schmerzes eine Quelle für Resilienz und Kreativität sein. Wie Menschen ihr Leiden verarbeiten und Sinn daraus ziehen, ist ebenso wichtig wie die medizinischen Interventionen. Medizinischer Fortschritt und menschliche Erfahrungen sollten daher nicht als Gegensätze, sondern als ergänzende Aspekte betrachtet werden, die gemeinsam berücksichtigt und geschätzt werden müssen.
Bibliografie
1. Stach, R. Kafka. Die Jahre der Erkenntnis; S. Fischer: Frankfurt am Main, 2008.
2. Hackermüller, R. Das Leben, das mich stört. Eine Dokumentation zu Kafkas letzten Jahren 1917–1924; Medusa: Wien Berlin, 1984; ISBN 978-3-85446-094-7.
3. Weil, R. Die Lungenschwindsucht: ihre Verhütung, Verlauf und mögliche Heilung; Möller: Berlin, 1899.
4. Kindl, U.; Rina, P. (eds.) Franz Tappeiner: Kurarzt und Mäzen – Medico e mecenate; Athesia Tappeiner Verlag: Bozen, 2017; ISBN 978-88-6839-249-9. Zu Kafkas Aufenthalt in Südtirol: Rina, P.; Rieder, V. (eds.) Kafka in Meran: Kultur und Politik um 1920; Edition Raetia: Bozen, 2020; ISBN 978-88-7283-743-6.
5. Ein Landarzt – Erzählungen | Franz Kafka, https://www.textlog.de/kafka/erzaehlungen/ein-landarzt.
6. Kafka, F. Briefe 1921–1924; Kritische Ausgabe; S. Fischer: Frankfurt am Main, 2024; Vol. 5; ISBN 978-3-10-038163-7.
7. Krämer, S. Franz Kafka (1883–1924): Ein Opfer der Tuberkulose. Deutsches Ärzteblatt 2014, 111, A-958 / B-814 / C-772.
8. Houben, R.M.G.J.; Dodd, P.J. The Global Burden of Latent Tuberculosis Infection: A Re-Estimation Using Mathematical Modelling. PLoS Med 2016, 13, e1002152, doi:10.1371/journal.pmed.1002152.
9. Ausserhofer, D.; Mahlknecht, A.; Engl, A.; Piccoliori, G.; Pfitscher, G.; Silbernagl, P.; Giacomoni, F.; Pycha, R.; Lombardo, S.; Gärtner, T.; et al. Relationship between Depression, Anxiety, Stress, and SARS-CoV-2 Infection: A Longitudinal Study. Front Psychol 2023, 14, 1116566, doi:10.3389/fpsyg.2023.1116566.
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