Wie kann Gesundheitsbildung an Südtirols Schulen verbessert werden? Wie kann die physische und psychische Gesundheit der Schüler:innen langfristig gestärkt werden? Welche Rolle spielen dabei Lehrer:innen und Eltern? Das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen hat sich diesen Fragen in einer Studie an deutschsprachigen Schulen gewidmet. „Gesundheitserziehung sollte als ein wichtiger Teil der gesundheitlichen Vorbeugung, Früherkennung und Frühintervention verstanden werden, vor allem in den Bereichen mentale Gesundheit und gesunder Umgang mit Medien“, betont Prof. Dr. Christian Wiedermann, Forschungskoordinator des Instituts.
Gesundheitsbildung ist entscheidend für Kinder und Jugendliche
Gesundheitskompetenz spielt eine zentrale Rolle für Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität. Gerade während der Schulzeit entwickeln Kinder und Jugendliche wichtige Gewohnheiten, weshalb Gesundheitsbildung in Schulen sehr effektiv ist. Sie vermittelt nicht nur Wissen, sondern fördert auch einen gesunden Lebensstil. Eine 2024 in der Fachzeitschrift Epidemiologia veröffentlichte Studie mit dem Titel „Integrating a Strategic Framework to Improve Health Education in Schools in South Tyrol, Italy“ beleuchtet den Stand der Gesundheitsbildung an Südtirols Schulen mit deutscher Unterrichts- sprache. Sie zeigt, wie Herausforderungen gemeistert und Gesundheitsthemen stärker in den Lehrplänen verankert werden können. „Schulen sind zentrale Akteure der öffentlichen Gesundheit in Südtirol“, erklärt Prof. Dr. Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.
Studie zeigt Handlungsbedarf in der Gesundheitserziehung auf
Die Studie verdeutlicht, dass Gesundheitsbildung an Südtirols Schulen häufig unzureichend integriert ist. Programme hängen oft von engagierten Einzelpersonen ab, statt flächendeckend im System verankert zu sein. „Es fehlen klare Vorgaben und Schulungen für das gesamte Lehrpersonal“, sagt Prof. Christian Wiedermann. Auch die Eltern müssten stärker eingebunden werden, um die Gesundheitsförderung zu unterstützen. Wichtig sei es, frühzeitig gegen Süchte wie Rauchen, Alkohol und Drogen vorzugehen.
Dr. Giuliano Piccoliori, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts, betont: „Schulen sollten nicht nur Orte der Wissensvermittlung sein, sondern auch physische und psychische Gesundheit fördern. Gesundheitsbildung ist die Grundlage für eine resiliente Gesellschaft. Um dies zu erreichen, müssen Gesundheitsthemen konsequenter in die Lehrpläne aufgenommen werden.“
Jugendliche unter Druck
Die Corona-Pandemie hat auf die psychosoziale Gesundheit vieler Jugendlicher aufmerksam gemacht. Angst, Stress und Depressionen sind vermehrt sichtbar geworden und anhaltend verbreitet. Sie dürften nicht ausreichend behandelt sein. Jugendliche fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen, was ihre Entwicklung und auch ihr Wohlbefinden beeinträchtigt. „Unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass Schulen hier aktiv werden müssen“, sagt Prof. Christian Wiedermann.
Schulen haben das Potenzial, ein sicherer Ort für Schüler:innen zu sein, an dem sie Unterstützung und Orientierung finden können. Resilienz-Programme, die die psychische Widerstandskraft stärken, könnten dabei helfen. Ebenso wichtig sind Achtsamkeitsübungen, die den Schüler:innen Techniken vermitteln, um mit Stress besser umzugehen. „Es braucht außerdem Räume, in denen die Jugendlichen offen über ihre Probleme sprechen können. Schulen sollten verstärkt darauf achten, die psychische Gesundheit zum Thema zu machen und den Jugendlichen praktische Tipps geben, um mit den Herausforderungen des Alltags besser umgehen zu können. Das könnte nicht nur aktuelle Probleme lindern, sondern auch langfristig die psychische Stabilität der Schüler:innen fördern“, betont Wiedermann.
Lehrkräfte oft ohne Unterstützung
Viele Lehrer:innen in Südtirol sind heute stark belastet. Neben ihrem normalen Unterricht müssen sie oft zusätzliche Aufgaben übernehmen, etwa Gesundheitsaufklärung oder die Unterstützung von Schüler:innen mit psychischen Problemen. Doch dafür sind sie oft nicht ausreichend ausgebildet. „Lehrkräfte stehen folglich unter großem Druck“, sagt Prof. Wiedermann. Es fehle ihnen oftmals an der nötigen Unterstützung und auch an Erfahrung, um komplexe Themen wie Gesundheit oder psychische Belastungen adäquat anzusprechen. Praxisnahe Fortbildungen könnten hier Abhilfe schaffen. „Sie sollten Lehrkräften konkrete Hilfsmittel bieten, um Gesundheitsthemen altersgerecht und verständlich vermitteln zu können. Solche Maßnahmen sind dringend notwendig, damit Lehrpersonen nicht überfordert werden und gleichzeitig die Schüler:innen die bestmögliche Unterstützung erfahren“, unterstreicht Prof. Christian Wiedermann.
Impfskepsis als Herausforderung
In Südtirol gibt es deutliche Unterschiede in der kulturellen Einstellung zu Impfungen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2021 ergab, dass damals bloß 50% der deutschsprachigen Bevölkerung bereit waren, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. In der italienischsprachigen Bevölkerung lag die Bereitschaft hingegen bei 75%. Diese Impfskepsis hat tiefe historische und kulturelle Wurzeln. „In Südtirol gibt es ein relativ stärkeres Misstrauen, das bis ins 18./19. Jahrhundert zurückreicht. Dieses Misstrauen lässt sich nur durch gezielte Aufklärung abbauen. Schulen können hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie Informationen altersgerecht und auf die kulturellen Besonderheiten abgestimmt vermitteln“, bekräftigt Wiedermann. Die Herausforderung besteht laut Wiedermann darin, Fakten verständlich zu präsentieren und dadurch Vorurteile auf sensible Weise abzubauen. „Schulen haben die Möglichkeit, über den Unterricht hinaus Dialoge anzustoßen – mit Schüler:innen, Eltern und der sozialen Gemeinschaft, in der Jugendliche leben. So können Schulen dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und die Akzeptanz von Impfungen langfristig zu fördern. Ziel ist es, die Gesundheit der Bevölkerung durch sachliche Aufklärung zu stärken“, unterstreicht Prof. Christian Wiedermann.
Ein 5-Punkte-Plan für bessere Gesundheitsbildung
Das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen hat einen fünf Punkte umfassenden strategischen Plan erarbeitet, um die Gesundheitsbildung an Südtirols Schulen zu verbessern:
1. Mehr Gesundheitsthemen im Unterricht
Gesundheitserziehung sollte Teil aller Unterrichtsfächer sein – von Biologie über Sport bis hin zu Geschichte. Dies ermöglicht eine ganzheitliche Wissensvermittlung. „Anstatt ein eigenes Fach ‚Gesundheitserziehung‘ einzuführen, wird eine interdisziplinäre Einbindung von Gesundheitsthemen in bestehende Fächer als effektiver angesehen. Dies fördert nicht nur umfassende Gesundheits- kompetenz, sondern verknüpft gesundheitsbezogene Themen mit praktischen Lebenskompetenzen“, sagt Prof. Wiedermann. Diese Themen sollten flexibel und ohne zusätzlichen Druck unterrichtet werden, um deren Akzeptanz und die praktische Umsetzung im schulischen Alltag zu gewährleisten.
2. Mehr Fortbildungen für Lehrpersonen
Lehrer:innen sollten verstärkt gezielte Schulungen erhalten, um Themen wie Impfaufklärung, mentale Gesundheit, Ernährung und Medienkompetenz effektiv zu vermitteln. „Viele Lehrkräfte sind unsicher, wenn es um Gesundheitsthemen geht“, sagt Wiedermann. Gezielte Fortbildungen könnten die Qualität der Gesundheitsbildung an Südtirols Schulen deutlich verbessern.
3. Mehr Zusammenarbeit zwischen Schulen, Eltern und Gesundheitswesen
Eine stärkere Kooperation zwischen Schulen, Eltern und dem Gesundheitswesen ist entscheidend. Gemeinsame Projekte, Informationsveranstaltungen und regelmäßiger Austausch könnten Barrieren abbauen und das gesellschaftliche Vertrauen in gesundheitsbezogene Maßnahmen stärken. „Gesundheitserziehung ist stets eine Gemeinschaftsaufgabe“, unterstreicht Wiedermann. „Wenn alle Akteure zusammenarbeiten, profitieren die Schüler:innen am meisten davon.“
4. Mehr Gesundheitsinformation auf Social Media
„Forschungsergebnisse unseres Institutes legen nahe, dass Social Media sinnvoll genutzt werden könnten, um Kinder und Jugendliche über Gesundheitsthemen zu informieren“, sagt Wiedermann. Schulen und Gesundheitsbehörden sollten diese Kanäle gezielt und unter Berücksichtigung altersgerechter Inhalte einsetzen, um ein breites Publikum zu erreichen. „Es könnte auch ein stärkerer Fokus auf die Förderung digitaler Gesundheitskompetenz gelegt werden, um die kritische Bewertung von wissenschaftlich fundierten Gesundheitsinformationen und das Entlarven von gefährlichen Fake News zu unterstützen“, so Prof. Wiedermann.
5. Mehr Unterstützungsstrukturen
Um Lehrkräfte bei der Gesundheitsbildung zu entlasten, sollten Sozialpädagogen und Schul- psychologen noch stärker eingebunden werden. Diese Fachkräfte können Lehrpersonen bei der Vermittlung komplexer Themen unterstützen und Schüler:innen gezielt helfen. „Bildung und Gesundheit gehen Hand in Hand. Mit einem strategischen Plan für die Gesundheitsbildung an Schulen wollen wir nicht nur die Resilienz junger Menschen stärken, sondern auch Lehrer:innen und Eltern dabei unterstützen, Gesundheitskompetenzen zu fördern. Gemeinsam können wir eine Kultur der Prävention schaffen“, erklärt Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.
Gesundheit und Resilienz fördern
Die Studie „Integrating a Strategic Framework to Improve Health Education in Schools in South Tyrol, Italy“ (2024) des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen zeigt auf, wie die Gesundheits- erziehung an den deutschsprachigen Grund-, Mittel- und Oberschulen in Südtirol intensiviert und weiterentwickelt werden kann. „Studien aus anderen Ländern zeigen, wie wirkungsvoll gut strukturierte Programme zur Gesundheitsbildung sein können. Diese Programme helfen den Schüler:innen, ihr Wissen über Gesundheit zu verbessern, Vorurteile abzubauen und ihr allgemeines Wohlbefinden zu stärken. Solche Ansätze können Vorbilder für Südtirol sein“, sagt Prof. Wiedermann. Um die Gesundheit und Resilienz der Schüler:innen zu fördern, sollte Südtirol Gesundheitsprogramme in die Schulcurricula aufnehmen. So lernen die Schüler:innen, wie sie selbst für ihre Gesundheit sorgen können. „Das Ergebnis wäre eine gesündere Gesellschaft. Gesundheitserziehung ist kein Luxus, sondern notwendig“, bekräftigt Prof. Christian Wiedermann und appelliert an Südtirols Gesundheits- und Bildungspolitiker: „Wir müssen jetzt handeln, um den Schüler:innen Wissen und Werkzeuge für ein gesundes Leben mitzugeben“.
Wichtig zu wissen: Die einzelnen Artikel des Gesundheitsblogs des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen werden nicht aktualisiert. Ihre Inhalte stützen sich auf Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Belege, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung verfügbar sind. Gesundheitsinformationen aus dem Internet können eine persönliche ärztliche Beratung nicht ersetzen. Informieren Sie Ihren Hausarzt oder Ihre Hausärztin über mögliche Beschwerden. Weiter…