Die deutsche Informationsplattform arznei-telegramm® berichtet, dass in den USA in die Produktinformationen der COVID-19-mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer (▼BNT162b2 [COMIRNATY]) und Moderna (▼mRNA-1273 [SPIKEVAX]) ein Warnhinweis auf ein erhöhtes Risiko von Myokarditis und Perikarditis aufgenommen worden ist.
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Publiziert von arznei-telegramm® am 29. Juni 2021.
In den USA ist in die Produktinformationen der COVID-19-mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer (▼BNT162b2 [COMIRNATY]) und Moderna (▼mRNA-1273 [SPIKEVAX]) ein Warnhinweis auf ein erhöhtes Risiko von Myokarditis und Perikarditis aufgenommen worden.1-3 Zuvor hatte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC bei einem erneuten Treffen ihres Beraterkomitees aktualisierte Analysen4 entsprechender Verdachtsberichte vorgelegt (vgl. a-t 2021; 52: 48). Inzwischen überblickt die Behörde insgesamt 1.226 Meldungen, 791 zur BioNTech- und 435 zur Moderna-Vakzine. Wie in den früheren Auswertungen treten die Herzmuskel- und -beutelentzündungen mehrheitlich innerhalb weniger Tage nach der zweiten Dosis auf (n = 827 [67%], im Median nach drei Tagen). Die Betroffenen sind im Median 30 Jahre (Dosis 1) bzw. 24 Jahre (Dosis 2) alt und überwiegend männlich (66% bzw. 79%). Am höchsten ist das Risiko bei männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren und jungen Männern zwischen 18 und 24 Jahren: Bei ihnen werden innerhalb von sieben Tagen nach der zweiten Impfung mindestens etwa 30-mal so viele Erkrankungen beobachtet wie erwartet (12 bis 17 Jahre: 128 beobachtet, 0 bis 4 erwartet; 18 bis 24 Jahre: 219 beobachtet, 1 bis 8 erwartet). Bezogen auf eine Million (Mio.) Impfdosen wird eine Berichtsrate von 66,7 bzw. 56,3 errechnet, entsprechend 1/15.000 bzw. 1/18.000. Eine – geringer ausgeprägte – Zunahme an Myo- und Perikarditiden fällt nach der zweiten Dosis auch bei Männern höherer Altersgruppen bis zu einem Alter von 49 Jahren auf sowie nach der ersten Dosis bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern unter 30 Jahren.4
Erstmals wird zudem ein vermehrtes Auftreten der entzündlichen Herzerkrankungen bei Mädchen und jungen Frauen beschrieben: Bei 12- bis 17-Jährigen stehen innerhalb von sieben Tagen nach der zweiten Dosis 19 Meldungen 0 bis 2 zu erwartenden Berichten gegenüber (Berichtsrate 9,1/1 Mio. entspr. 1/110.000), bei den 18- bis 24-Jährigen sind es 23 gegenüber 1 bis 6 (Berichtsrate 5,5/1 Mio. entspr. 1/180.000).4
Die CDC und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA betonen, dass sich die Beschwerden bei den meisten Betroffenen während der bislang kurzen Nachbeobachtungszeit zurückgebildet haben.2-4 Nach vorläufigen Daten finden sich bei unter 30-Jährigen vor allem Brustschmerz, Dyspnoe, erhöhte kardiale Enzyme und/oder EKG- bzw. echokardiografische Veränderungen. Allerdings sind 9 (3%) von 309 Hospitalisierten dieser Altersgruppe, deren Meldungen bereits analysiert sind und deren Symptome und Befunde die Falldefinition der CDC erfüllen, zum Berichtszeitpunkt weiterhin im Krankenhaus, darunter 2 auf der Intensivstation. Bei 218 (79%) von 295 aus dem Krankenhaus Entlassenen ist zwar bekannt, dass sie sich erholt haben.4 Was mit den übrigen ist, bleibt jedoch unklar. Zudem fehlen derzeit Daten zu möglichen längerfristigen Schäden, diese sollen in den nächsten Monaten erhoben werden.1,4
Im Anschluss an das Treffen des Beraterkomitees kommt es zu einem ungewöhnlichen Schritt: Mehrere US-amerikanische Behörden und Fachgesellschaften, darunter CDC, American Academy of Pediatrics, American College of Physicians und Infectious Diseases Society of America, veröffentlichen eine gemeinsame Stellungnahme, in der alle Personen ab 12 Jahren eindringlich zur Impfung gegen COVID-19 aufgerufen werden, da der Nutzen weit größer sei als jeglicher Schaden, gerade auch angesichts der aktuell steigenden Infektionen mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2.5 Bei dem Expertentreffen als Diapräsentation vorgestellte Nutzen-Schaden-Analysen legen ebenfalls nahe, dass die Vorteile der Immunisierung im Hinblick auf verhinderte COVID-19-Erkrankungen, Krankenhaus- und intensivmedizinische Behandlungen sowie Todesfälle in allen Altersgruppen und für beide Geschlechter das – derzeit angenommene und auf vorläufigen und vor allem bei 12- bis 15-Jährigen sehr begrenzten Daten basierende – Risiko einer Myokarditis/Perikarditis überwiegen.6 Die Analysen lassen sich aufgrund unzureichender Angaben jedoch kaum nachvollziehen. Ob sie auf Deutschland übertragbar sind, ist zudem unklar.
Auch in Großbritannien enthalten die Produktinformationen der beiden mRNA-Impfstoffe inzwischen einen Warnhinweis auf Myo- und Perikarditis.7,8 Aussagekräftigen Analysen der dort vorliegenden Verdachtsmeldungen sind nicht publiziert. Die Erkrankungen sollen aber ebenfalls überwiegend „mild“ gewesen sein und die Betroffenen sich unter „Standardtherapie“ und Ruhe innerhalb kurzer Zeit „tendenziell erholt“ haben.7,8
Wichtig ist, dass Geimpfte rasch einen Arzt aufsuchen, wenn nach der Immunisierung Schmerzen in der Brust, Kurzatmigkeit, Palpitationen oder Rhythmusstörungen auftreten.1,7,8 Vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist bei entsprechenden Beschwerden differenzialdiagnostisch eine Myokarditis/Perikarditis in Betracht zu ziehen, da koronare Ereignisse als Auslöser in dieser Altersgruppe weniger wahrscheinlich sind.9Wie in a-t 2021; 52: 48 dargelegt, müssen insbesondere junge Männer – und nach den neuen Daten auch junge Frauen – über das Risikosignal, potenzielle Symptome und das gehäufte Vorkommen nach der zweiten Impfung aufgeklärt werden. Unseres Erachtens sollte zudem in den ersten Tagen nach Immunisierung auf Leistungssport und stärkere sportliche Betätigung verzichtet werden. Eine Analyse und Einordnung der hierzulande (oder zumindest in Europa) dokumentierten Daten zum Myokarditis- und Perikarditisrisiko unter den beiden mRNA-Impfstoffen ist überfällig, – Red.
1 | FDA: Pressemitteilung vom 25. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=adek |
2 | FDA: Fact Sheet BNT162b2, Stand 25. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=bero |
3 | FDA: Fact Sheet mRNA-1273, Stand 24. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=olnz |
4 | SHIMABUKURO, T. (CDC): Diapräsentation, 23. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=ahnh |
5 | US Department of Health and Human Services u.a.: Stellungnahme vom 23. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=trei |
6 | WALLACE, M., OLIVER, S.: Diapräsentation, 23. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=edwi |
7 | MHRA: Information for UK Healthcare Professionals BNT162b2, Stand 25. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=ueng |
8 | MHRA: Information for UK Healthcare Professionals mRNA-1273, Stand 25. Juni 2021; http://www.a-turl.de/?k=erti |
9 | CDC: Information vom 28. Mai 2021; http://www.a-turl.de/?k=esla |
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