Eine ASTAT-Umfrage verrät wie die Südtiroler Bevölkerung die Corona-Pandemie wahrnimmt und wie sie zu Pandemie-Maßnahmen sowie zur Covid-Impfung steht. Dr. Roland Keim, Direktor des Psychologischen Dienstes des Krankenhauses Brixen und Initiator der Studie in Südtirol, analysiert die Ergebnisse.
Im Jänner 2021 führte das Landesinstitut für Statistik ASTAT in Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Dienst des Krankenhauses Brixen, dem Institut für Allgemeinmedizin der Claudiana und der Landesabteilung für Gesundheit eine Erhebung durch, die Aufschluss über die Meinungen und die Verhaltensweisen der Bürger:innen im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie geben sollte. Für die Studie hat ASTAT stichprobenartig 4.000 Südtiroler:innen kontaktiert. 1.475 Personen (33 Prozent der kontaktierten Personen) haben den Fragebogen beantwortet.
Die COSMO-S Studie
Die Studie COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO) ist ein Gemeinschaftsprojekt von Universität Erfurt, Robert Koch Institut, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Leibniz-Institut für Psychologie, Science Media Center, Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin und Yale Institute for Global Health. Der Fragebogen wurde von der Weltgesundheitsorganisation erstellt und für die Südtirol weite Studie an die lokale Realität angepasst.
Das Ziel der Studie ist es, einen Einblick zu erhalten wie die Bevölkerung die Corona-Pandemie wahrnimmt. Diese Informationen sollen es den Entscheidungsträgern wiederum erleichtern, die Kommunikationsmaßnahmen rund um die Pandemie anzupassen und Falschinformationen vorzubeugen.
Gerade weil das Pandemie-Geschehen nicht nur von den Spike-Proteinen von Sars-CoV-2, sondern vor allem auch vom Verhalten der Menschen abhängig ist, sei diese Umfrage so wichtig, sagt der Initiator der Studie in Südtirol und Direktor des Psychologischen Dienstes des Krankenhauses Brixen, Dr. Roland Keim: „Das wurde bisher leider zu wenig beachtet, wenn nicht gar ignoriert. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass es ausreichend ist, eine Verordnung zu erlassen und dann damit zu rechnen, dass diese auch ein zu eins umgesetzt wird. Ich sage da immer: Menschen sind keine Kartoffeln; sie haben Meinungen, eine Persönlichkeit, Gewohnheiten, Wünsche und Bedürfnisse. Sie beobachten das Geschehen und treffen ihre Entscheidungen, passen sich an, reagieren auf ihre eigene Art auf Herausforderungen.”
Ich sage da immer: Menschen sind keine Kartoffeln; sie haben Meinungen, eine Persönlichkeit, Gewohnheiten, Wünsche und Bedürfnisse. Sie beobachten das Geschehen und treffen ihre Entscheidungen, passen sich an.
Laut der ASTAT-Umfrage sind 47 Prozent der Südtiroler:innen mit den aktuellen Pandemie-Maßnahmen nicht einverstanden, 53 Prozent der Bevölkerung hingegen schon. Ähnliche Erhebungen auf internationaler Ebene könnten nicht einfach auf die Südtiroler Realität übertragen werden, das hätte eine eigene Südtiroler Studie nötig gemacht, erklärt Dr. Keim: „Die Einstellung und die Verhaltensweisen der Menschen hängen von vielen Rahmenbedingungen ab, vor allem beispielsweise auch vom aktuellen Pandemie-Geschehen, den geltenden Vorschriften, der Dauer der Einschränkungen usw“.
In der Befragung gab fast die Hälfte der Befragten an Schwierigkeiten beim Verstehen der Corona-Maßnahmen zu haben. Laut Dr. Keim kann das sowohl auf die Pandemie-Müdigkeit sowie auf die mangelhafte Kommunikation zurückgeführt werden. „Je länger die Maßnahmen andauern, umso schwieriger wird es, die Bevölkerung hierfür zu motivieren und desto mehr zeigen Unverständnis für die vorgeschriebenen Maßnahmen. Diese Meinungen sind eben nicht konstant wie das Amen im Gebet. Zusätzlich spielt eine zuverlässige, vertrauenswürdige Kommunikation in jeder Pandemie-Bekämpfung gerade aus diesem Grunde eine wichtige Rolle. Jede verkündete Falschmeldung, jede zögerliche Kommunikation mit nachfolgendem Widerruf untergräbt das Vertrauen. Natürlich kann man nicht alles vorhersehen und die Politik kann in dieser Zeit eigentlich nur verlieren. Fehler passieren unausweichlich bei einer neuen Herausforderung, wie der aktuellen. Das müssen wir uns alle eingestehen und das kann auch problemlos kommuniziert werden. Wir sind nicht allwissend. Alle Institutionen, einschließlich WHO (Weltgesundheitsorganisation), CDC (Centers for Disease Control and Prevention) oder wie immer sie heißen mögen, haben sich schon ordentlich geirrt. Das ist bei der Politik nicht anders. Je länger die Maßnahmen andauern und je mehr Menschen darunter in irgend einer Form zu leiden haben, umso größer wird auch der Widerstand gegen ebendiese Maßnahmen und umso wichtiger wird der Aufbau einer Kommunikationsstrategie, um die fatalen Folgen einer Pandemie-Müdigkeit zu reduzieren.”
Je länger die Maßnahmen andauern, umso schwieriger wird es, die Bevölkerung hierfür zu motivieren und desto mehr zeigen Unverständnis für die vorgeschriebenen Maßnahmen.
Diskussionspunkt Covid-Impfung
Jede:r Sechste ist von der Covid-Impfung nicht überzeugt, das sind 17 Prozent der Studien-Teilnehmer:innen in Südtirol. In Anbetracht der ansonsten verbreiteten Impfskepsis in Südtirol, hätte sich der Direktor des Psychologischen Dienstes des Krankenhauses Brixen Dr. Keim hier einen höheren Wert erwartet. „Wahrscheinlich wollen die Menschen besonders hier in Südtirol endlich und möglichst rasch zurück zu einem normalen Leben, weil wir besonders hart getroffen wurden. Frankreich hat da beispielsweise viel größere Probleme. Es wird nun wichtig sein, einen möglichst großen Teil dieser 17 Prozent zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass dies auch möglich sein wird. Natürlich gibt es daneben noch ungefähr fünf Prozent, die argumentativ in keiner Weise erreichbar sind. Zu berücksichtigen ist, dass diese Umfrage vor der Diskussion um AstraZeneka gemacht wurde. Daher sind regelmäßige Folgestudien von großer Bedeutung, um die gesamte Impfstrategie einschließlich Impfkampagne danach auszurichten,“ sagt Dr. Keim.
Für ihn sind die Studienergebnisse eine wichtige Informationsquelle für die Entscheidungsträger:innen, deshalb rät Dr. Keim: „Als Entscheidungsträger würde ich genau hinschauen, welche sind für die Bevölkerung die glaubwürdigen Kommunikationskanäle, wem wird besonders vertraut, welche Bevölkerungsschicht muss gezielter angesprochen werden, welche Gruppierungen neigen dazu, Corona zu verleugnen, welche Maßnahmen kommen gut und welche schlecht bei der Bevölkerung an oder wovon hängt die Impfbereitschaft ab. Diese Befragung gibt hierzu Hinweise. Regelmäßige Folgestudien könnten und sollten die Entscheidungsträger dazu zeitnahe informieren. Zudem können eventuelle Maßnahmen besser auf ihre Auswirkung evaluiert werden.“