Masern galten bislang als das ansteckendste Virus. Doch die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 sind nun gleich infektiös wie das Masernvirus und breiten sich daher europaweit rasant aus. „Weil das Coronavirus die trockeneren Wintermonate bevorzugt und Infektionen im Sommer eigentlich abnehmen sollten, ist es wichtig, auf diese beunruhigende Entwicklung aufmerksam zu machen. Es gilt, vor der Corona-Sommerwelle zu warnen“, betont Prof. Dr. Christian Wiedermann, Internist und Koordinator der Forschungsprojekte am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health der Claudiana Bozen.
Die neuen Omikron-Varianten des Coronavirus greifen um sich. Derzeit gibt es in Europa drei Varianten: BA.2, BA.4 und BA.5. „Die zwei neuen Varianten weisen zusätzliche Mutationen auf. Mit diesen Varianten kann das Virus der bislang dank Impfung oder Infektion aufgebauten Immunität teilweise entgehen. Daher sind die neuen Varianten auch für diejenigen gefährlich, die sich schon vorher mit den Omikron-Subtypen BA.1 oder BA.2 angesteckt hatten“, erklärt Dr. Christian Wiedermann. BA.4 und BA.5 verdrängen auch bei uns langsam BA.2. Das hat mit der Kombination von erhöhter Ansteckungsfähigkeit und teilweise umgangener Immunabwehr (Immunflucht) zu tun. ,Immunflucht’ bedeutet, dass sich die Gestalt eines Krankheitserregers deutlich verändert. Das auf das Virus schon eingestellte Immunsystem kann dieses dann schlechter oder nicht mehr ausreichend erkennen und bekämpfen.
Im Einzelfall verlaufen die durch eine Infektion mit BA.4 oder BA.5 entstehenden COVID-19-Erkrankungen nicht schwerer als bei früheren Omikron-Varianten. Doch durch die Zunahme der Zahl an mit BA.4 oder BA.5 Infizierten könne es auch zu einer Zunahme von schweren Krankheitsverläufen kommen, stellt Wiedermann klar: „Damit ist vor allem bei Menschen mit schwachem Immunschutz zu rechnen. Das sind in erster Linie die bekannten Risikogruppen, darunter Ungeimpfte“, so Prof. Christian Wiedermann.
„Omikron hat die ansteckbare Bevölkerung weltweit in wenigen Monaten bis Jänner 2022 weitgehend durchseucht und quasi wie ein Lebendimpfstoff gewirkt, wenngleich mit einer zehnfach höheren Sterblichkeitsrate als bei der Grippe. Nach der Kombination aus Omikron-Wellen und Impfung können wir davon ausgehen, dass nahezu alle Menschen zumindest eine gewisse Immunität gegen das Virus entwickelt haben. Aber es gibt immer noch coronabedingte Todesfälle, eben weil die Immunität nachlässt“, hält Prof. Dr. Christian Wiedermann fest.
Wenn der Immunschutz tatsächlich anhalten würde, könnte den Viren der Nährboden entzogen werden. „Ja, die Durchseuchung gibt es bei uns in Südtirol, doch die oftmals erwähnte Herdenimmunität ist nicht erreicht worden. Die Immunflucht des Virus und die Besonderheiten der Regulation unseres Immunsystems verhindern das Auslöschen von COVID-19“, unterstreicht Prof. Wiedermann.
Aus den aktuellen Entwicklungen gewinnt der Wissenschaftler am Institut für Allgemeinmedizin in Bozen zwei zentrale Erkenntnisse: „Zum einen, dass eine Auffrischungsimpfung (Booster) besser vor einer Ansteckung mit den Omikron-Varianten schützt als eine durchgemachte Omikron-Infektion. Zum anderen weisen erste Daten darauf hin, dass die Schutzwirkung durch eine Booster-Impfung bei jenen Menschen besser ist, die noch keine Corona-Infektion durchgemacht haben. Eine überstandene Erkrankung könnte die Wirksamkeit künftiger Impfungen abschwächen. Das ist deswegen so wichtig, weil die Impfung nach wie vor der beste Schutz vor kritischen COVID-19-Erkrankungen und vor dem Corona-Tod ist“. Mittlerweile wird das Boostern für Menschen ab dem 5. Lebensjahr empfohlen. Dabei wird nach der Grundimmunisierung (zumeist mit zwei Impfdosen) ein Wechsel auf einen anderen Impfstoff als möglicherweise sinnvoll erachtet.
„Angesichts der steigenden Fallzahlen und der wissenschaftlichen Evidenz bin ich persönlich für eine Verstärkung der Impfbemühungen. Dazu zählt auch die 4. Impfdosis für alle, die sie sich wünschen“, bekräftigt Dr. Wiedermann.
Er befürchtet, dass im heurigen Herbst eine weitere, immunisierende Corona-Mutante auftauchen könnte. Daher sei es schon jetzt wichtig, Maßnahmen zu treffen: „Das wichtigste Präventionsmittel ist mit Sicherheit die Impfung. Dazu zählen die Erstimpfungen – auch bei Kindern, die das Virus derzeit vielfach in die Familien bringen, aber auch das Boostern zum frühestmöglichen Zeitpunkt.“ Zwischen August 2020 und Oktober 2021 konnte die Virus-Übertragung dank der Kombination aus AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten, im Alltag Maske tragen) und Schutzimpfung um 53% reduziert werden. Die AHA-Maßnahmen ohne Impfung erreichten alleine beachtliche 35%. Zu diesem Schluss kommt die Wissenschaftszeitschrift Nature.
„Schutzmaske tragen und Abstand halten sind in der Omikron-Sommerwelle 2022 wichtiger denn je!“, so der abschließende Appell von Prof. Dr. Christian Wiedermann.
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