Welche Rolle spielen die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz (KI) in der medizinischen Versorgung der Südtiroler Bürger:innen? Welche Chancen und Risiken birgt der Einsatz von KI in der Allgemeinmedizin? Wie können Südtirols Hausärztinnen und Hausärzte KI ethisch verantwortungsvoll und patientenorientiert verwenden? Antworten auf diese und weitere Fragen lieferte das erste „Institutsgespräch“ des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen am 28. Oktober 2023 an der Claudiana in Bozen.
Das Ziel der „Institutsgespräche“
„Mit dem ersten ,Institutsgespräch’ konnten wir an die erfolgreichen ,Akademiegespräche’ der Südtiroler Akademie für Allgemeinmedizin anknüpfen. Das Ziel unserer neuen Veranstaltungsreihe ist es, aktuelle und für die tägliche Arbeit der Hausärztinnen und Hausärzte relevante Themen kritisch und differenziert zu beleuchten“, erklärt der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. Die Zielgruppe der Institutsgespräche sind alle Berufsgruppen, die Patient:innen betreuen. Künftig sollen auch Veranstaltungen für alle Bürgerinnen und Bürger angeboten werden, um zum Aufbau einer „Gesundheitsöffentlichkeit“ beizutragen.
Digitalisierung und KI zum Auftakt
Die Digitalisierung habe schon Eingang in die Patientenversorgung gefunden, jetzt komme die Künstliche Intelligenz dazu, sagt Dr. Adolf Engl. Es gelte, sich mit den Nutzungsmöglichkeiten dieser Technologien zu beschäftigen, um Vor- und Nachteile kennenzulernen. „Da dieses Thema hochaktuell ist, haben wir ihm den Auftakt unserer neuen Veranstaltungsreihe gewidmet. KI und Digitalisierung können ein Hilfsmittel für die Versorgung der Patient:innen darstellen. Eine funktionierende, schlanke Digitalisierung kann die Übersicht über Befunde, Diagnostik und Therapie vereinfachen und in der Folge die Patientenbetreuung verbessern. Die Pflegekräfte und die Ärzteschaft können entlastet werden. Daraus ergeben sich viele Möglichkeiten für die Forschung – und deren Ergebnisse kommen dann wieder den Patient:innen zugute“, analysiert Dr. Adolf Engl.
KI in der medizinischen Versorgung
Der Einsatz von KI gewinnt in der medizinischen Versorgung an Bedeutung – auch in Südtirols Ordinationen für Allgemeinmedizin. „Seit geraumer Zeit verwenden wir Hausärztinnen und Hausärzte in unserer täglichen Praxis eine grundlegende Form von Künstlicher Intelligenz: Sie steckt in den Algorithmen unserer Software, mit der wir die Akten der Patientinnen und Patienten verwalten“, sagt Dr. Giuliano Piccoliori, Arzt für Allgemeinmedizin und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. „Einige dieser Algorithmen berechnen aufgrund bestimmter Parameter das Risiko eines Herzinfarkts für einen bestimmten Patienten und empfehlen dann die Einnahme eines Medikaments, das den Cholesterinspiegel senkt und damit das kardiovaskuläre Risiko reduziert“, erklärt Dr. Piccoliori. Die eigentliche KI sei dagegen noch mehr, betont Prof. Dr. Christian Wiedermann. Der frühere Primar für Innere Medizin am Krankenhaus Bozen und nunmehrige Koordinator der Forschungsprojekte des Südtiroler Instituts für Allgemeinmedizin beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Vor- und Nachteilen der Künstlichen Intelligenz in der Allgemeinmedizin. „KI kann Patient:innen im Selbstmanagement und bei der Vorbereitung auf ärztliche Visiten sowie uns Ärztinnen und Ärzten bei der Diagnostik unterstützen. Sie kann die Arbeitseffizienz steigern und die Vorteile von Telemedizin besser nutzen lassen. Dennoch ist die KI lediglich als Ergänzung zur menschlichen Expertise zu sehen: Sie kann die Ärztinnen und Ärzte also keinesfalls ersetzen“, unterstreicht Prof. Wiedermann.
Ein gutes Beispiel: KI in der Depressionstherapie
Dass der Einsatz der KI das Potential für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung birgt, soll ein aktuelles Projekt des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health zeigen. Das Projekt beschäftigt sich mit der computergestützten kognitiven Verhaltenstherapie, wie Prof. Christian Wiedermann im Rahmen des ersten „Institutsgespräches“ erklärte: „Konkret bedeutet das, dass Computerprogramme mittels KI Menschen helfen können, die psychische Gesundheitsprobleme haben, etwa Depressionen. Die Verwendung von KI im ,iFightDepression’-Tool trägt dazu bei, die Qualität und den Zugang zur Behandlung von Depressionen auch in Südtirol zu verbessern, indem sie personalisierte Unterstützung bietet und Therapeut:innen wertvolle Einblicke in den Fortschritt ihrer Patient:innen gibt“, sagte Prof. Wiedermann. Obwohl die Forschung in diesem Bereich begrenzt ist, gebe es bereits vielversprechende Beispiele für KI-Anwendungen in Verbindung mit elektronischen Patientenakten, die zur Vorhersage und Klassifizierung von psychischen Erkrankungen beitragen, erläuterte der Koordinator der Forschungsprojekte des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. Er betonte, dass KI dahingehend entwickelt wird, psychische Erkrankungen in einem frühen Stadium zu erkennen und personalisierte Behandlungen anzubieten. Dabei ist es laut Prof. Wiedermann von größter Bedeutung, ethische Aspekte zu berücksichtigen, um das Vertrauen der Patient:innen zu gewinnen und deren Gesundheitsdaten sicher aufzubewahren.
Hausärzte und KI: „Partnerschaft“ für die Patientenversorgung
Im Rahmen des ersten „Institutsgesprächs“ am 28. Oktober 2023 wurde die enge Zusammenarbeit zwischen Mediziner:innen und KI-Forschenden als entscheidend für die erfolgreiche Integration von KI in die medizinische Praxis hervorgehoben. Prof. Christian Wiedermann erklärte, dass Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit haben sollten, „KI-Systeme in ihrer täglichen Arbeit zu testen und zu nutzen“. Dies könne „durch Pilotprojekte geschehen, bei denen KI bei Diagnosen oder Behandlungen unterstützt, wie z.B. die von der EU geförderte und abgeschlossene Machbarkeitsstudie zur Verwendung von Symptom-Checkern in der Südtiroler Allgemeinmedizin“. Dabei sei es von höchster Bedeutung, „die Rechte der Patient:innen und die Qualität der Versorgung zu wahren.“ Wichtig sei auch das Knüpfen von internationalen Forschungsnetzwerken. KI und Medizin könnten gleichsam eine „Partnerschaft“ eingehen – zum Wohle der Patientenversorgung. Dr. Giuliano Piccoliori führte einige Beispiele einer solchen „Partnerschaft“ an: „Die KI kann eine nützliche ,Partnerin’ für uns Hausärztinnen und Hausärzte sein: Sie kann uns z.B. dabei unterstützen, Röntgenbilder, Tests und Untersuchungsergebnisse besser zu verstehen. Außerdem kann sie uns dabei helfen, herauszufinden, was die Ursache für die Symptome eines Patienten sein könnte, indem sie auf Muster von Symptomen und klinischen Informationen zurückgreift“, so Dr. Piccoliori. Der Behandlungsweg müsse aber stets von Mediziner:innen in Interaktion mit ihren Patient:innen festgelegt werden.
KI: Fluch oder Segen für die Arzt-Patienten-Kommunikation?
Das Vertrauensverhältnis und die Kommunikation zwischen Allgemeinmediziner:innen und ihren Patient:innen können durch den Einsatz von KI grundlegend verändert werden. „Es muss vermieden werden, dass der Arzt der Maschine dient. Der Mensch ist ein komplexes Wesen, bei dem Geist und Körper ständig interagieren. Ärztinnen und Ärzte müssen ihre Patientinnen und Patienten stets in ihrer bio-psycho-sozialen Komplexität wahrnehmen“, betont Dr. Giuliano Piccoliori, der Wissenschaftliche Leiter des Instituts, mit Nachdruck. Die KI solle ein wichtiges Hilfsmittel sein, sie dürfe jedoch nicht die Erfahrung und das Wissen der Mediziner:innen ersetzen. „Das Vertrauensverhältnis und die Kommunikation mit den Patient:innen müssen daher weiterhin grundlegende Arbeitsinstrumente für die Allgemeinmediziner:innen sein, um eine einfühlsame Beziehung zu gewährleisten, die nicht nur die Diagnose, sondern auch den positiven Einfluss der verschriebenen Therapien unterstützt“, sagt Dr. Piccoliori.
Datenschutz und Ethik in der KI-gestützten Allgemeinmedizin
Müssen der KI ethische Grenzen gesetzt werden, damit der Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden kann? Prof. Dr. Christian Wiedermann plädiert für eine strenge Einhaltung von Datenschutzregelungen, etwa der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). „Ethische Richtlinien sind entscheidend, um den Einsatz der KI in der Medizin sinnvoll zu gestalten und mögliche Risiken zu minimieren“, so Wiedermann. Sensible Patientendaten sollten „anonymisiert oder pseudonymisiert werden“, der Zugriff auf diese Daten sollte „streng kontrolliert werden“, unterstreicht der Forschungskoordinator des Instituts für Allgemeinmedizin. „Aufklärung der Patient:innen und das Einholen ihrer Zustimmung sind unerlässlich. Regelmäßige Überprüfungen der Datenschutzpraktiken und Schulungen für Südtirols Gesundheitspersonal sind notwendig, um das Einhalten der Datenschutzrichtlinien sicherstellen zu können. Zudem ist die Sicherheit der KI-Systeme entscheidend, um Cyber-Angriffe und Datenlecks zu verhindern“, sagt Prof. Wiedermann.
Wichtig zu wissen: Die einzelnen Artikel des Gesundheitsblogs des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen werden nicht aktualisiert. Ihre Inhalte stützen sich auf Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Belege, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung verfügbar sind. Gesundheitsinformationen aus dem Internet können eine persönliche ärztliche Beratung nicht ersetzen. Informieren Sie Ihren Hausarzt oder Ihre Hausärztin über mögliche Beschwerden. Weiter…