Corona-Impfung: Ja oder nein? Vor dieser Entscheidung stehen unter anderem viele Frauen mit Kinderwunsch und Schwangere. Der Internist Univ. Prof. Dr. Christian Wiedermann fasst den aktuellen Forschungsstand zusammen:
Dieser Beitrag ist Teil der Covid-19-Beratung für Allgemeinmediziner:innen. Anhand neuester Informationen der internationalen wissenschaftlichen Institute und aktueller Studienergebnisse beantwortet das Forschungsteam des Instituts laufende Fragen rund um das Coronavirus. Die Antworten werden auf dem Blog veröffentlicht und stehen allen Interessierten zu Verfügung.
Schwangerschaft und Geburt erhöhen zwar nicht das Covid-Infektionsrisiko, der klinische Verlauf der ausgelösten Erkrankung SARS-CoV-2 ist im Vergleich zu nicht schwangeren Personen jedoch schlimmer.
Seit der Einführung des COVID-19-Impfprogramms zögern dennoch viele junge Frauen, sich impfen zu lassen. Sie berufen sich auf Bedenken hinsichtlich der Fruchtbarkeit. Wer den Impfstoff zudem in der Schwangerschaft angeboten bekommt, muss sich entscheiden und das obwohl Schwangere von den Zulassungsstudien für die zu entwickelnden Impfstoffe ausgeschlossen blieben und die Datenlage für die Schwangerschaft deshalb vergleichsweise schlecht ist.
Impfen und Fruchtbarkeit – ein bekanntes Thema
Es ist nicht das erste Mal, dass Gerüchte über Unfruchtbarkeit durch Impfstoffe kursieren. Im Jahr 2003 führten solche Bedenken zu einem Boykott der Polio-Impfung in Nordnigeria; in jüngerer Zeit wurde wegen solcher Gerüchte der Impfstoff gegen humane Papillomaviren nur zögerlich akzeptiert. Die Befürchtungen von ausgelöster Unfruchtbarkeit haben sich in beiden Fällen nicht bestätigt.
Untersuchungen zur COVID-19-Impfung in der Schwangerschaft haben gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe eine schützende Immunantwort auslösen und mütterliche Antikörper durch die Plazenta und in die Muttermilch übertragen werden. Den Neugeborenen wird so eine passive Immunität gegen SARS-CoV-2 verliehen.
Was steht hinter den Bedenken?
Keiner der bei uns zugelassenen COVID-19 Impfstoffe enthält Viren, die sich replizieren könnten. Somit verursachen sie keine Krankheit, jedoch können unspezifische Nebenwirkungen durch die Aktivierung des Immunsystems auftreten.
Kurze Beobachtungszeit für die Beurteilung der Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen
Die überwiegende Mehrzahl unerwünschter Ereignisse nach Impfungen kann nach vorliegenden klinischen Studien ausgeschlossen werden. Der noch kurze Beobachtungszeitraum bei COVID-19 bedeutet aber, dass jene unerwünschten Folgen schwerer auszuschließen sind, die möglicherweise erst Jahrzehnte später eintreten.
Neue Impfstoff-Plattform
Tatsächlich zögern viele Menschen, sich einen mRNA-Impfstoff verabreichen zu lassen, da dies eine relativ neue Impfstoffform ist. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die ersten Versuche mit mRNA-Impfstoffen am Menschen im Jahr 2006 begannen. Es liegen also doch schon über zehn Jahre hinter uns, in denen Langzeitfolgen, die sich aus mRNA-Impfstoffen ergeben könnten, bereits ans Licht hätten kommen können.
Falsche Hypothese zum Schädigungsmechanismus
Eine konkrete Behauptung von Impfgegnern lautet, dass Antikörper, die das SARS-CoV-2-Spike-Protein erkennen, mit dem humanen Plazentaprotein Syncytin-1 kreuzreagieren und dadurch die Plazenta schädigen. Aber schon ein „Naturversuch“ macht plausibel, dass dies nicht der Fall ist: Frauen, die sich kurz vor der Empfängnis oder früh in der Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 infiziert und dabei Antikörper auch gegen SARS-CoV-2-Spike-Protein gebildet haben, haben kein höheres Fehlgeburtsrisiko als ihre nicht infizierten Gleichaltrigen. Ähnlichkeiten zwischen den Aminosäuresequenzen von SARS-CoV-2-Spike-Protein und Syncytin-1 sind zudem minimal und das Rekonvaleszenzserum von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 reagiert auch nicht mit Syncytin-1. Der Hypothese eines solchen Schädigungsmechanismus fehlen also die Grundlagen.
Impfstoffentwicklung inklusive präklinischer Fertilitätstests
Die Zulassung von Impfstoffen erfordert im Vorfeld, dass Studien zur Entwicklungs- und Reproduktionstoxizität in Tiermodellen durchgeführt worden sind. Diese haben an Nagetieren gezeigt, dass auch geimpfte Versuchstiere schwanger werden und dass Welpen unbeschadet bleiben, wenn die Impfstoffe während der Trächtigkeit verabreicht werden.
Fruchtbarkeit und Schwangerschaften in den Zulassungsstudien
Teilnehmerinnen an den Studien für die Impfstoffzulassung durften nicht schwanger sein und waren auch gebeten worden, während der Studienteilnahme eine Schwangerschaft zu vermeiden. Dennoch traten in den Interventions- und Kontrollgruppen der COVID-19-Studien von Pfizer/Biontech, Moderna und AstraZeneca in 57 Fällen Schwangerschaften auf. Detaillierte Analyseergebnisse dazu liegen vor. Es gab in den geimpften Gruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen keinen signifikanten Unterschied in der Rate ungewollter Schwangerschaften, was darauf hindeutet, dass die Impfstoffe eine Schwangerschaft nicht verhindern. Ebenso waren die Fehlgeburtsraten zwischen den Gruppen vergleichbar, was darauf hinweist, dass sich die Impfung nicht nachteilig auf die Frühschwangerschaft auswirkt.
Wichtig ist, dass Behauptungen, die COVID-19-Impfstoffe mit Unfruchtbarkeit in Verbindung bringen, unbegründet sind und es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt.
The American College of Obstetricians and Gynecologists
https://www.hhs.gov/about/news/2021/07/08/joint-cdc-and-fda-statement-vaccine-boosters.html
Behörden beurteilen das Risiko-Nutzen-Verhältnis der Impfung in der Schwangerschaft positiv
Verantwortliche Institutionen beurteilen das Risiko-Nutzen-Verhältnis der Impfung in der Schwangerschaft durchwegs positiv. Aus diesem Grund haben Aufsichtsbehörden im Vereinigten Königreich, in der Europäischen Union und in den Vereinigten Staaten empfohlen, schwangeren Frauen den Impfstoff anzubieten, weil der Nutzen die potenziellen Risiken überwiegt. Das gilt für alle, besonders aber, wenn Infektions- und Erkrankungsrisiken wie Diabetes, Adipositas und Bluthochdruck vorliegen.
Die bisherigen Daten deuten darauf hin, dass die Impfung in der Schwangerschaft sicher ist.
Male V. Are COVID-19 vaccines safe in pregnancy? Nat Rev Immunol. 2021 Apr;21(4):200-201. doi: 10.1038/s41577-021-00525-y.
Pharmakovigilanzdaten sind ohne Hinweis auf Sicherheitsbedenken
In den Vereinigten Staaten von Amerika haben bis Ende April 2021 über 100.000 Schwangere einen COVID-19-Impfstoff erhalten und für die Sicherheitsbeurteilung relevante Daten in ein Register eingetragen. Diese verbesserte Pharmakovigilanz hat keine Warnhinweise ergeben. Inzwischen sind daraus über 35.000 COVID-19-Impfungen in der Schwangerschaft detailliert analysiert und veröffentlicht (N Engl J Med 2021; 384:2273-2282). Die bereits zuvor als gut bewerteten Sicherheitsdaten haben sich bestätigt. Im vergleichsweise kleineren Vereinigten Königreich wurden insgesamt zwar weniger Schwangere geimpft, aber das Bild ist dort wie auch in den Ländern der Europäischen Union ähnlich.
Laufende Impfstudien in der Schwangerschaft untersuchen nach wie vor die Sicherheit und Wirksamkeit der COVID-19-Impfung, gehen aber auch der Vermutung nach, dass eine Impfung gegen COVID-19 in der Schwangerschaft besonders vorteilhaft ist. COVID-19 Risikofaktoren wie Diabetes, Adipositas und Bluthochdruck sind auch in der Schwangerschaft wirksam. Schwangere, an COVID-19 erkrankte Patientinnen benötigen eher eine Intensivstation, es ist wahrscheinlicher, dass ihre Kinder früher zur Welt kommen und auch, dass die Babys auf einer Neugeborenen-Abteilung länger stationär aufgenommen bleiben. Es ist auf Basis vorliegender Daten sehr wahrscheinlich, dass eine Impfung diese Risiken verringert. Wenn sich die Hypothese bestätigt, wird vorzuschlagen sein, in den Impfplänen Schwangere zu priorisieren.
FAZIT
Die bisherigen Daten bestätigen, dass die COVID-19-Impfung in der Schwangerschaft sicher ist. Angesichts der erhöhten Risiken, die mit einer COVID-19-Infektion in der Schwangerschaft verbunden sind, haben deshalb viele Schwangere entschieden, sich impfen zu lassen. Durch die laufende, engmaschige Überwachung der Impfergebnisse bei Schwangeren und ihren Neugeborenen wird die Wissenschaft bald in der Lage sein, evidenzbasierte Praxisempfehlungen in differenzierter Form zu geben und auch zu klären, ob und wie die Impfstoffe bei Schwangeren breiter eingesetzt werden können. In der Zwischenzeit können sich diejenigen, die eine Schwangerschaft planen, darauf verlassen, dass eine Impfung die Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigt.
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